und gesehen hatte. Dieses Bewusstsein der missionarischen Verpflichtung, eine Nachricht zu überbringen, das heute manchen fremd anmuten mag, war damals aufrichtig und allgemein. Selbst die Sterbenden baten die Jüngeren, die noch Kraft zu einem Fluchtversuch hatten, die Botschaft von ihrem Leiden mit hinauszunehmen in die Welt. Es ist keine nachträgliche Pose, wenn die Überlebenden schreiben, dass nur dieser Gedanke sie aufrecht hielt, denn nach dem Verlust ihrer Familie war ihnen der Tod oft vertrauter als das scheinbar sinnlos gewordene Leben. Die Hölle, der sie ausgesetzt waren, schien so wahnwitzig, dass sie überzeugt waren, die Welt würde ihr Fortbestehen nicht einen Tag länger dulden, wenn sie nur die Wahrheit erführe - ja, diese Welt selbst könnte so nicht bestehenbleiben, in der dies möglich geworden war.
Die meisten Zeugnisse sind mit ihren Schreiben verschollen. Hier und da fand man später hinter einer Mauer oder auf einem Dachboden ein verstaubtes Heft, letztes Lebenszeichen eines Menschen, dessen Spur ins Nichts führe. Einige Berichte wurden während des Krieges von Flüchtlingen ins neutrale Ausland gebracht oder unter dem frischen Eindruck der Erlebnisse in der Freiheit niedergeschrieben. p> Jeder Überlebende glaubte etwas ganz Einmaliges und Wichtiges erzählen zu müssen. Er verstand sich als zufälligen, vielleicht einzigen Zeugen einer menschenvernichtenden Katastrophe. Damals waren die wenigen, die aus Auschwitz oder dem brennenden Warschauer Ghetto entkamen, tatsächlich Sendboten aus einer Unterwelt, von der man noch auf keine andere Art verlässliche Nachricht empfangen hatte.
Auf Himmlers Befehl wurden zwar vor Kriegsende noch die meisten Unterlagen seines Amtes vernichtet, aber schon die zufällig erhalten gebliebenen Dokumente ergeben ein erdrückendes Beweismaterial. Die Tatsachen sind heute allgemein bekannt oder könnten es zumindest sein, da inzwischen genügend dieser Akten veröffentlicht wurden.
Die Judenverfolgung, die sich bis zum staatlich organisierten Genozid steigerte, ist das nach umfang und Systematik sicher furchtbarste Verbrechen der Nazis, die auch Millionen Angehöriger der slawischen Völker ermordeten. Die Juden waren die ersten Opfer eines umfassenden Ausrottungsprogramms zur "rassischen Neuordnung" Europas, das von eimen siegreichen Hitlerdeutschland verwirklicht worden wäre. Ihr Schicksal beweist, in welchen Abgrund des Verbrechens die nazistische Raubtierphilosophie führe. An diesem Beispiel zeigt sich die Krankheit einer ganzen Epoche. Nicht eine judische, eine deutsche Angelegenheit wird hier verhandelt.
Mit Hitlers Machtantritt war das Ende der Demokratie in Deutschland gekommen. Die erste Terrorwelle richtete sich gegen die deutsche Arbeiterbewegung, in der die Nazis zu Recht ihren entschiedensten Gegner erkannten. Die Stimme der Vernunft und der Humanität musste gewaltsam zum Schweigen gebracht werden, bevor die neuen Machthab...