ni während eines Besuchs beim saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine gefragt wurde, was er von den Ereignissen in Peking hielte, platzte ihm der Kragen: "Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, schnauzte er vor laufenden Kameras. "Schauen Sie doch hin! In Peking ist nichts anderes geschehen als die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung. Die Menschen in der DDR wussten, was sie von diesen Sätzen zu halten hatten. Kurz darauf skandierten sie auf den Straßen von Leipzig: "Wer Peking lobt, kann hier nicht wenden. ötzlich war nichts in der internationalen Weltordnung mehr so, wie es vier Jahrzehnte lang gewesen war. Politiker überall mussten lernen, mit Überraschungen zu leben. Praktisch alles, was zwei Generationen als unverrückbare Grundlagen der Weltpolitik betrachtet hatten, gerie t in Bewegung.
Allerdings gilt es, einen wesentlichen historischen Unterschied zu beachten: Nach den großen und katastrophalen Einschnitten des 20. Jahrhunderts hat es immer wieder Versuche zur fundamentalen Neuordnung der internationalen Politik gegeben, auch wenn diesen Versuchen höchst unterschiedlicher Erfolg beschieden war. Nach dem Ersten Weltkrieg waren es die Versailler Friedenskonferenz und die Geburt des Völkerbundes, nach dem Zweiten Weltkrieg die Konferenz von Potsdam und die Gründung der Vereinten Nationen. Nach der Wendezeit von 1989 hat es einen solchen Versuch nicht gegeben. Und geradezu zwangsläufig hat sich internationale Politik auf der Grundlage alter, gewachsener, aber schon in der Vergangenheit nur begrenzt leistungsfähiger Strukturen in eine völlig neue Zeit bewegt. Die Schwierigkeiten waren mit dem Geburtsfehler vorprogrammiert.äume, Hoffnungen, Irrtümervielen Köpfen hatte sich nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des kommunistischen Lagers die Überzeugung gebildet: Wir haben den Kalten Krieg gewonnen und jetzt ist der Friede sicherer. Jetzt werden wir weniger Kriege haben. Von Friedensdividenden wurde geredet. Heute wissen wir: Das war nur einer von vielen Irrtümern. Für einen kurzen historischen Moment träumte die Menschheit von mehr Sicherheit. Schon ein oberflächlicher Blick auf die Welt von heute zeigt aber, dass das genaue Gegenteil eingetreten ist: Wir haben nicht weniger Kriege bekommen - sondern mehr. Und wir haben festgestellt, dass der Ost-West-Konflikt in weiten Teilen der Welt mäßigende Wirkung auf viele Regionalkonflikte hatte. Manches, was seither an kriegerischen Ausbrüchen in Afrika, Asien und sogar Europa aufgeflammt ist und Hunderttausende von Menschenleben gekostet hat, wäre zu Zeiten des Kalten Krieges so nicht möglich gewesen.1989 hat die Welt daran geglaubt, dass die goldenen Zeiten von Globalisierung und Wohlstand anbrechen würden, weil sich Demokratie und ...